Lern- und Innovationskultur
Gemeinsam lernen, ins Risiko zu gehen...

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sinkt; Behörden und Unternehmen sind wenig flexibel und wenig bereit, Neues zu wagen (Quelle). Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit ist ein beliebtes Thema für Schuldzuweisungen in der politischen Debatte, aber ich finde es interessanter, mögliche Wirkfaktoren in Organisationen zu beleuchten, die Veränderung und Innovation behindern.
Die Harvard-Professorin Amy Edmondson hat mit ihrem Konzept der psychologischen Sicherheit einen sehr relevanten Erklärungsansatz für die Innovationsfähigkeit von Teams geliefert: Je sicherer sich Menschen fühlen, unangenehme oder schwierige Themen anzusprechen, desto eher werden Lösungen für Probleme gefunden.
Wie wenig dieses Verhalten in vielen Unternehmenskulturen gefördert wird, hat Amy Edmondson in ihrem Buch „Die angstfreie Organisation“ am Beispiel der Führungsmannschaft um Martin Winterkorn kurz vor dem Dieselskandal sehr anschaulich beschrieben: Offene Diskussionen und das Hinterfragen vorgegebener Ziele waren nicht erwünscht. Das Ergebnis dieser fehlenden offenen Diskussionskultur kennen wir alle: Schummelsoftware, um unerreichbare Ziele zu erreichen.
Um Neues zu wagen, braucht es eine Kultur, in der sich Menschen sicher fühlen, offen anzusprechen, was nicht funktioniert, eingefahrene Abläufe und Regeln in Frage zu stellen und "verrückte" Ideen zu äußern. Psychologische Sicherheit bedeutet, sich vor negativen Konsequenzen sicher zu fühlen, wenn man von sozialen Normen abweicht. Konsequenzen können sein: getadelt, ignoriert oder lächerlich gemacht zu werden, kurz: einen Gesichtsverlust in der für uns wichtigen Peergroup zu erleiden oder sogar faktisch negative Konsequenzen für unser berufliches Fortkommen.
Das Lernkulturmodell von Amy Edmondson zeigt sehr schön, wie das Lernen aus Fehlern und Innovationen in Unternehmen vom Vorhandensein psychologischer Sicherheit und ehrgeiziger Ziele abhängen (eigene Darstellung nach Sketchnotes-ruhr.de).

Amy. E Edmondson The Competitive Imperative of Learning. Harvard Business Review, July-August 2008.
- Beginnend im Lernkulturmodell oben rechts: Wenn wir uns sicher fühlen, soziale Risiken einzugehen, sprechen wir Probleme, Fehler und Schwierigkeiten offen an, um gemeinsam daraus zu lernen und neue Lösungen zu entwickeln. Ehrgeizige Ziele sind ein Anreiz, die Organisation gemeinsam weiterzuentwickeln.
- Wenn hohe Anforderungen auf mangelnde psychologische Sicherheit treffen, erleben wir Leistungsdruck, ohne den sicheren Raum, Neues zu wagen. In einer Angst-Kultur versuchen alle irgendwie zu überleben, zur Not auch auf Kosten der anderen oder unter Umgehung von Gesetzen.
- Wenn es keine ehrgeizigen Ziele und wenig psychologische Sicherheit gibt, entsteht eine Kultur der Apathie, in der angepasstes und passives Verhalten die beste Überlebensstrategie ist.
- Im linken oberen Quadranten des Lernkulturmodells fühlen wir uns sicher, aber es gibt keine ehrgeizigen Ziele, was oft dazu führt, dass wir uns in einer harmonischen Komfortkultur einrichten, da es wenig Anlass zur Weiterentwicklung gibt. Wir sehen hier teilweise auch eine starke Beschäftigung mit sich selbst.
- Was bedeutet das für eine wettbewerbsfähige Lernkultur in unseren Unternehmen und Institutionen? Wie viel Verantwortung wird eigentlich für die Bewältigung herausfordernder Transformationsziele übernommen? Gibt es die notwendige psychologische Sicherheit, um Dinge auszuprobieren? Oder werden hohe Ziele gesetzt, ohne Fehlversuche zu akzeptieren? Wie oft wird im Status quo verharrt, weil Mut und Sicherheit fehlen, herausfordernde Projekte anzugehen? Sicher ist, dass die notwendige Weiterentwicklung in Unternehmen und Verwaltungen die Bereitschaft zum Verlassen der Komfortzone erfordern, um Verantwortung für Fehler der Vergangenheit zu übernehmen und die Bereitschaft, sich in einen unsicheren Lernprozess zu begeben.
Damit Menschen in Organisationen zu Veränderung und Innovation bereit sind, braucht es sichere Räume, in welchen das Ansprechen kritischer Themen und Experimente erwünscht sind. Hier spielen Führungskräfte auf allen Ebenen eine wichtige Rolle, indem sie
- eine klare Vision und ambitionierte Ziele vorgeben und gleichzeitig die Erlaubnis, von bestehenden Regeln abzuweichen.
- selbst das Verhalten vorleben und bestehende Probleme benennen sowie eigene Fehler und Entwicklungsfelder offen benennen.
- Mitarbeiter:innen, die sich aus der Komfortzone wagen und unbequeme Themen ansprechen, unterstützen und den Rücken stärken.
So kann eine Unternehmenskultur gefördert werden, die Entwicklung - auch wenn sie riskant ist - belohnt, anstatt ein Verharren im Status quo zu erwarten. Mut und Experimente statt German Angst.
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