Umgang mit Gefühlen im Arbeitskontext

Sandra Scherf-Braune • Apr. 16, 2021

„Mütend“ in der Corona-Krise, isoliert im Homeoffice, überlastet durch endlose Meetings. Mit zunehmender Dauer der Krise steigt die Ungeduld: "Weshalb schon wieder Lockdown?", "Schulen auf!", "Schulen zu!", "Warum ist der schon geimpft und ich nicht?". Führungskräfte werden in der aktuellen Situation mehr als sonst mit der Stimmung  der Mitarbeiter:innen konfrontiert und fragen sich: Wie mit diesen Emotionen im Arbeitskontext gut umgehen? Braucht es bei schlechter Stimmung ein Team-Event, das für gute Laune sorgt? Oder ist es meine Aufgabe als Führungskraft, Zuversicht und Optimismus zu verbreiten? 


Auch in Veränderungsprozessen erlebe ich häufig Situationen, in denen nach erfolgreichem Abschluss der Projektarbeit die Stimmungskurve dennoch nach unten geht. Mitarbeiter:innen fremdeln mit den Neuerungen und trauern den „guten alten Zeiten“ nach. Das macht die Projektbeteiligten dann ärgerlich: es wurde viel Arbeit und Mühe investiert, um alles gut vorzubereiten. Nun könnte es richtig losgehen – was soll dann das Gejammere? Oftmals ist die Bereitschaft, sich mit der emotionalen Seite der Veränderung auseinanderzusetzen, nicht sehr groß. „Immerhin sind wir zum Arbeiten hier und andere sind noch viel schlechter dran!“ Soll man auf Emotionen und Stimmungen überhaupt eingehen, schaukelt sich das nicht nur immer weiter hoch?  Das sind nachvollziehbare Fragen und Reaktionen.


Dennoch brauchen wir auch in Unternehmen einen konstruktiven Umgang mit Emotionen, um in einer Krise arbeitsfähig und produktiv bleiben können. Natürlich sind Arbeitsteams keine Selbsterfahrungsgruppen, in denen Gefühle im Mittelpunkt stehen, jedoch verschwindet schlechte Stimmung meistens nicht, indem wir sie ignorieren.


Das Prinzip der Akzeptanz- und Commitment-Therapie – oder kurz ACT - nach Steven C. Hayes kann eine nützliche Perspektive für einen konstruktiven und handlungsorientierten Umgang mit Emotionen im Arbeitskontext bieten.

 




1. Emotionen wahrnehmen, ob uns das gefällt oder nicht.

Als erstes geht es darum, wahrzunehmen, was gerade los ist: „Welche Stimmung und Gefühle sind im Raum? Was empfinde ich selbst dabei?" Achten Sie auf die Gefühlsreaktionen der anderen und nehmen die eigene Reaktion darauf wahr - die angenehmen, aber gerade auch die unangenehmen Gefühle. Wir neigen häufig dazu, unangenehme Gefühlen schnell wegzuschieben. Auch andere Menschen sollen möglichst keine negativen Gefühle zeigen, diese sind im sozialen Miteinander nicht erwünscht. Doch Gefühle verschwinden nicht einfach, wenn wir sie nicht wahrnehmen oder zeigen, sondern wirken physiologisch weiter und teilen sich unterschwellig mit. Beim Einzelnen tragen sie zur Entstehung von Stress und körperlichen Beschwerden bei und in Teams erzeugen sie Spannungen und können zu Leistungseinbußen führen.


2. Akzeptieren und aushalten.

Akzeptieren bedeutet, eine Situation so anzunehmen, wie sie ist – mit allen angenehmen und unangenehmen Aspekten. Das Leben hält für uns das volle Programm bereit und das Negative auszublenden kann auf Dauer nicht funktionieren. Deshalb ist es hilfreich, auch weniger angenehme Themen wahrnehmen und aushalten zu können. Vielleicht möchten wir negativen Gefühlen nicht zu viel Raum geben, um nicht von ihnen überwältigt zu werden. Gefühlen hilflos ausgeliefert zu ein und darin zu versinken, ist alles andere als eine attraktive Vorstellung. Dennoch ist eine Veränderung von emotionalen Zuständen erst dann möglich, wenn wir sie mit allen widersprüchlichen Aspekten akzeptiert haben.


„Was ist, darf sein und was sein darf, kann sich verändern.“ (Werner Bock, Gestalttherapeut)


3. Autopiloten ausschalten.

Um alle Herausforderungen des Alltags bewältigen, sind wir fast wie im Autopiloten unterwegs. So können wir, ohne lange nachzudenken, schnell reagieren, Entscheidungen treffen und handeln. Dieser Autopilot speist sich aus unserer Erfahrungen und so leiten bewährte Denkmuster, Prägungen und evtl. auch Vorurteile unser Verhalten. Vielleicht auch eingeübte, emotionale Reaktionsweisen, die uns nicht guttun. Um diese unbewussten Reaktionsmuster zu unterbrechen, müssen wir einen Schritt zur Seite zu treten und mit Distanz auf unsere eigenen Gedanken und Gefühle blicken:

Ist das wirklich wahr, was ich denke? Woher kommen diese Gefühle? Sind diese Handlungsimpulse sinnvoll und nützlich für uns?

Um Distanz zu bekommen, ist es hilfreich, Gefühle und Gedanken aufzuschreiben, um sie auf dem Papier oder dem Bildschirm betrachten zu können. Arbeitsteams können die Sichtweisen der Einzelnen auf Metaplankarten bzw. auf virtuellen Whiteboards verschriftlichen, um ein gemeinsames Bild der unausgesprochenen Meinungen und Stimmungen zu gewinnen. Das Benennen und Aussprechen von Gefühlen beruhigt unser Emotionszentrum und lässt uns wieder handlungsfähig werden.


4. Orientieren und neu ausrichten

Nachdem wir unserem Autopiloten abgeschaltet haben und Gefühle, Gedanken und Impulse mit Abstand wahrnehmen können, sind wir besser in der Lage, diese zu reflektieren. Nun kommen unsere Ziele und Werte als Kompass in Spiel: 

Was ist uns wirklich wichtig? Was ärgert mich eigentlich so? Was wollen wir erreichen? Welche Sicht- und Verhaltensweisen sind dafür hilfreich?  Wie stellen wir uns selbst ein Bein?

Wir beginnen uns selbst mit unserem Erleben im Gesamtkontext zu sehen. So können wir uns wieder auf unsere Ziele und Werte fokussieren, anstatt in der Gefühlsachterbahn zu fahren. Wir kommen zurück in den "Drivers Seat" und können die Situation verändern. 


5. Aktiv werden.

Erst jetzt kommt der Schritt, den viele Führungskräfte am liebsten sofort gehen würden: Aktiv werden und die Welt retten. Dennoch unterschätzen Sie die Bedeutung der vorherigen Schritte nicht: ohne Akzeptanz und Benennen der Gefühle sind Reflexion und Lösung  weniger wahrscheinlich. Doch im Umgang mit Gefühlen helfen eine Macher-Haltung und Tools nicht. Wie kann sich die angespannte Stimmungslage dann lösen?
Die erste wirkungsvolle Veränderung kann sein, die Sichtweise auf ein Thema zu verändern. Manchmal hilft ein Perspektivwechsel "Wie würde ich in 5 Jahren darauf schauen?" Manchmal braucht es mehr Hintergrundinformationen, um eine Situation verstehen und akzeptieren zu können. Vielleicht sind konkrete Veränderungen im Arbeitskontext notwendig, um Anlass und Ursache für die Missstimmung zu beseitigen. Oder ein Mitarbeiter:in braucht individuelle Unterstützung, sei es durch Entlastung von Aufgaben oder ein Coaching bzw. eine Beratung, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Und manchmal müssen wir bestimmte Aspekte und Situationen einfach aushalten. Und da hilft uns ein bisschen Optimismus: es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.


Inspiriert durch:

Susan David, Emotionale Beweglichkeit. 2020, Unimedica ein Imprint der Narayana Verlag

Stephen C. Hayes, Kurswechsel im Kopf: Von der Kunst anzunehmen, was ist, und innerlich frei zu werden. 2020 Beltz


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von Sandra Scherf-Braune 11 Mai, 2020
Die Fast-Forward-Taste der Geschichte In der Corona-Krise haben sich viele Menschen von jetzt auf gleich im Homeoffice wiedergefunden - für manche wurde endlich möglich, was lange nicht erwünscht war. Erste Erfahrungsberichte zeigen, dass der Übergang in die virtuelle Zusammenarbeit besser gelungen ist als erwartet: Die Digitalisierung in unserer Arbeitswelt hat einen Riesenschritt gemacht und viele haben ihre Vorurteile revidiert. Ganz nebenbei schützen wir durch wegfallende Arbeitswege und Dienstreisen nun sogar das Klima. Laut einer Umfrage des FIT sind über 80% der Mitarbeiter im Homeoffice zufrieden. Sie schätzen ihre eigene Arbeitsleistung positiv ein, vermissen jedoch den sozialen und professionellen Austausch mit den Kollegen. Werden Homeoffice und virtuelle Zusammenarbeit auch nach der Corona-Krise zum Neuen Normal? Prof. Wolfgang Prinz vom Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) glaubt, dass Mitarbeiter auch nach der Corona-Pandemie mehr von zuhause arbeiten werden und viele Meetings durch virtuelle Treffen ersetzt werden. Ergebnisse werden mehr zählen als "FaceTime". Doch was bedeutet das für unser Wohlbefinden und unser Miteinander? Die Begegnung mit Kollegen an der Kaffeemaschine, die gemeinsamen Mittagessen, all die lieb gewonnene Büro-Routinen - können wir darauf dauerhaft verzichten? Gillian Sandstrom hat in einer Studie gezeigt, wie sehr die flüchtigen Begegnungen unseres Alltags zu unserem Wohlbefinden beitragen. Wie können wir diese spontanen, aber umso erfreulicheren Kontakte in unser Homeoffice-Tage integrieren? Oftmals taumeln wir von einer Videokonferenz zur nächsten Videokonferenz und fallen am Ende des Tages erschöpft aufs Sofa. Wir brauchen neue Strategien, um für uns zu sorgen und Kontakt und Verbundenheit mit unseren Kollegen herzustellen. Nicht nur, weil eine gute Zusammenarbeit für unsere Arbeitsergebnisse wichtig ist, sondern auch weil unser emotionales Gleichgewicht davon abhängt, wie sehr wir uns eingebunden fühlen. Auch wenn unsere Freunde und Familie uns Stabilität und Halt geben: Ohne unsere Büro-Ehe oder das Gefühl, Teil eines Teams zu sein, fehlt uns einfach etwas. Um uns weiterhin verbunden fühlen zu können, müssen wir verstehen, wie Empathie auch per Videoübertragung möglich ist, Emotionen virtuell einen sicheren Raum finden, Vertrauen entstehen und beibehalten werden kann und was das mit unserer persönlichen Wirkung zu tun hat. Wir alle befinden uns auf einer gemeinsamen Lernreise und ich bin gespannt, aus welcher neuen Normalität wir in 5 Jahren auf 2020 und die Zeit davor zurückschauen werden.
Im Grunde gut – Rutger Bregmann wirbt für ein optimistischeres Menschenbild
von Sandra Scherf-Braune 18 Apr., 2020
Negative Nachrichten beeinflussen uns stärker als positive. Deshalb sind die Medien ständig auf der Suche nach den „Breaking News“, die unsere Aufmerksamkeit umso mehr fesseln, je beunruhigender sie sind. In der Savanne hat dieser „negativity bias“ unsere Vorfahren sicher manches Mal davor bewahrt, von wilden Tieren gefressen zu werden.
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